Contergan – Mein kleines Leben

Auch die ARD-Sendung Hart aber fair nahm sich des Themas Contergan an. Wie ich finde, eine sehenswerte und gut recherchierte Sendung.

Als Betroffene möchte ich hier nur anfügen: Ich will kein Mitleid! Mein Leben finde ich für mich selbst immer noch lebenswert! Soweit es geht, nutze ich die vorhandenen Möglichkeiten für ein eigenständiges Leben. Trotz aller Schmerzen und ohne die Einnahme von Schmerzmitteln. Um dahin zu kommen, ist es kein leichter Weg. Dieses wünsche ich niemanden. Als die Ärzte mit ihrem Latein, oder besser der Schulmedizin, keine tragbare Lösung fanden, lautete der ärztliche Vorschlag: Wandere aus Deutschland aus! Meine Frage und Feststellung dazu: „Immer mit der Sonne um die Welt?“ Klar, reisen ist schön. Uuupps, ein ständiges „Kofferleben“ in verschiedenen Staaten der Welt? Und dann ist da ja auch noch der Gatte und das Kind. Damit fällt diese nette Idee flach.
Mit einem schulpflichtigen Kind, kann man nicht problemlos ein halbes Jahr in Deutschland und ein halbes Jahr in einem anderen Staat leben. Und nur die kurzen Winterferien sind dann nicht besonders hilfreich. Also ist das auch nicht die Lösung.
Schließlich ist die Entscheidung ein zweites Mal ein Haus in Deutschland zu bauen gefallen. Hoffentlich wird es möglich sein, in diesem Haus mit der Familie alt zu werden.

Einige werden sicherlich denken, warum gibt es keine Vorwürfe an die Beteiligten.
Aus meiner Sicht ganz einfach: Meine Mutter ist zum Arzt gegangen, weil sie vermutete schwanger zu sein. Er meinte jedoch, ich sei nur „Gas“ in ihrem Bauch und sie sei nervös. Er verschrieb ihr Contergan.
Meiner Mutter und der Abwehrreaktion ihres Körpers habe ich zu danken, denn sie hat 6 mal 1 Tablette, insgesamt also sechs Tabletten, eingenommen und sofort wieder erbrochen! Vielen lieben Dank für diese Erste Hilfe! So ist nur die Wirkung 1 Tablette übrig geblieben.
Meinem Vater danke ich, denn er hat das Röhrchen in den Kohleofen gefeuert!
Kann man sich auch bei den embryonalen Stammzellen bedanken? Wenn ja, dann auch ihnen ein herzliches Dankeschön! Sie haben wohl das allerschlimmste mit verhindert, in dem sie ein „Rettungsprogramm“ ablaufen ließen!
Dem Arzt kann ich auch keine Vorwürfe entgegen bringen, denn er hatte eine kleine Landarztpraxis. Bis er die Information über die Wirkung von Contergan während einer Schwangerschaft erhalten hatte, dauerte es. Dann hat er aber sofort richtig und umsichtig gehandelt und alle betroffenen Patientenakten aufbewahrt. Auch hat er bestätigt das Medikament verordnet zu haben. Vielen Dank für dieses umsichtige Handeln. Persönlich habe ich ihn erst viele Jahre später kennengelernt. Er erinnerte sich sogar, dass er zu meiner Mutter meinte, ich sei nur Gas in ihrem Bauch mit den Worten: Er würde sich gerne einmal das Gasprodukt näher ansehen und ob er es dürfte. Klar, angucken macht ja nix kaputt, willigte ich ein.
Und der Firma Grünenthal sowie dem Staat ?
Hier würde ich eher davon sprechen, dass es bei beiden Versäumnisse, gegeben hat. Damals gab es noch die Möglichkeiten von Tierversuchen, die heute ja abgelehnt werden. Ein Versuch an einem Menschenaffen mit einem Affenbaby hätte vollkommen ausgereicht! Mäusezellen sind eben viel weiter von den menschlichen Zellen entfernt. Das war damals auch schon bekannt.
Es gab seinerzeit auch kein Gesetz, welches ein Zulassungsverfahren für Medikamente und Präparate vorschrieb in Deutschland. Auch keine Produkthaftung so wie wir es heute kennen.
Ebenso wenig gab es Testverfahren in der Art und Weise wie sie heute angewendet werden. Es liegt eine lange Zeit mit einer rasanten Entwicklung in allen medizinischen Bereichen zwischen den damaligen Möglichkeiten und heute.
Beide, Hersteller und Staat oder besser die Bundesregierung, haben hier versucht eine Verantwortung zu schultern. Die vorgesehenen finanziellen Mittel reichen jedoch bei weitem nicht aus. Die in die Stiftung eingezahlten Mittel sind verbraucht. Die Regelung, dass die weiteren Mittel alleine vom Staat aufgebracht werden, hat eigentlich die seinerzeitige Regierung zu verantworten. Sie hätte auf eine entsprechende Beteiligung oder Nachfinanzierungsmöglichkeit drängen können. Es war also von beiden Seiten so gewollt. Jetzt zahlt der Staat alleine lediglich die kleinen Renten.
Der Versuch der Erfassung aller in Deutschland lebenden Contergangeschädigten ist m.E. von seiten des Staates auch nicht besonders klug gewählt worden. In der Grundschule jedenfalls sollten alle Kinder erfasst werden, bei denen Abweichungen von der normalen Entwicklung bekannt waren. Der Lehrer fragt also in der Klasse: „Wer hat fehlende Körperteile oder sonst etwas?“ Zwei melden sich. Meine Mitschülerin und ich. Er antwortet: „Na ja, dann schreibe ich sie mal auf.“ „Und was ist mit mir?“ fragte ich ihn. „Ich habe doch einen krummen Daumen!“ ließ ich vernehmen. Der Lehrer: „Der krumme Daumen zählt nicht!“ Durchgefallen – obwohl wir von einander wussten, beide Mütter hatten das Medikament genommen. Aus der Schule zurück, erzählte ich den Vorfall. Das brachte das Thema in der Familie wieder hoch. Meine Eltern haben sich dann erkundigt und schriftlich an die Bezirksregierung gewandt. Von dort gab es ein freundliches Schreiben, dass ein Gesetz in Arbeit sei und man sich wieder melden würde. Im Klartext – bitte warten Sie! Und meine Eltern, in Besitz aller Nachweise, warteten und warteten. Jau, solange bis ich selbst Druck gemacht habe. Dann hat es endlich geklappt. So nach und nach wurde die Liste meiner Beeinträchtigungen immer länger. Zum Schluss sagte ich dann einmal zu einem Arzt: Es ist wohl einfacher und kürzer zu notieren, was bei mir gesund ist. Was da nicht aufgeführt ist, ist in irgendeiner Weise beeinträchtigt.
Betroffene in England werden besser unterstützt. Hier in Deutschland ist es leider nicht so. Ganz nach dem Motto: Hilf dir selber, dann ist dir geholfen. Und – Alles wird gut.

Anmerkung:
Im Gästebuch zur ARD-Sendung Hart aber fair taucht ein Kommentar von einer Person namens Elke auf. Den habe ich nicht verfasst! Dieses bitte ich zu beachten.

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